Abenteuer und Magie by Karl Federn

Abenteuer und Magie by Karl Federn

Autor:Karl Federn [Karl Federn]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783956765025
Herausgeber: Otbebookpublishing
veröffentlicht: 2014-06-30T18:30:00+00:00


Der Seher

In dem ovalen Zimmer mit den grünen Vorhängen war es stille geworden. Kleine Falter flatterten um die Lampe und fielen versengt mit heftigen kleinen Bewegungen auf das Tischtuch herab; das junge Mädchen sagte zu ihrem Bruder, der sich bemühte, sie vom Tisch zu streifen: »Nein, laß ... die armen Tiere!«

Der Mann, der zwischen beiden saß, sah sie erstaunt an. Er war nicht mehr jung, sein kurzes welliges Haar war leicht ergraut; ihm war das täuschende Gefühl gekommen, er müßte das, was er sah und hörte und was ihn umgab, schon einmal erlebt haben; und er sprach es aus. Alle gaben aus wiederholter Erfahrung die gleiche Täuschung zu, aber er schüttelte den Kopf. »Ich glaube, es ist wirklich so«, sagte er, indem er sich in dem Zimmer umsah und die um den Tisch Sitzenden der Reihe nach freundlich anblickte. »Ich könnte Ihnen eine Geschichte erzählen ...«

Er sprach indessen nicht weiter und versank in Nachdenken. Sohn und Tochter sahen einander an und füllten dem Gast das Glas; sie wußten, daß er dann gesprächiger wurde, und auch die Mutter wollte die Geschichte hören. Er aber warf dem jungen Mädchen einen eigentümlich liebevollen, lächelnd vertrauten Blick zu, der sie beinahe verwirrte, denn sie hatte den Mann erst wenige Male gesehen, und der ihr dennoch wohltat; dann sagte er:

»Mein Beruf bringt es mit sich, daß ich öfter den Ort wechseln muß, um in neuer Gegend die gleiche Arbeit zu verrichten; und so war ich auch dahin gekommen, wo das Haus stand, und die Dinge sich ereigneten, an die ich heute so lebhaft erinnert werde. Es ist sicherlich Zufall ... Lassen Sie mich nur erzählen. Ich ging dort im Walde spazieren und sah einen schlanken Mann vor mir auf dem gleichen Wege gehen, der sich beständig bückte und irgend etwas auf der Erde tat; und da er auffallend groß war, sah dies um so sonderbarer aus. Ich ging ein wenig schneller und bemerkte bald, daß kleine Schnecken in großer Zahl nach dem Regen auf dem feuchten Boden krochen, die er alle behutsam aufhob und in die Büsche tat, offenbar, damit sie nicht verletzt würden. Ich habe ihn später ebenso aufmerksam darauf achten, daß er keine Ameise zertrete, und die Falter an der Lampe schützen sehen.

Einige Tage später saß ich in meinem Gasthof beim Mittagessen, als derselbe Mann eintrat. Seine Kleidung sah, ohne es absichtlich zu sein, dennoch altertümlich aus. Sein Stehkragen war wohl besonders hoch und die dunkle Krawatte breit darumgeschlungen, weil sein Hals so lang war; der graue Gehrock war in den Hüften eingeschnitten und die Hosen enge. Das Gesicht, von schwarzem, schönem, an den Schläfen herabgestrichenem Haar umrahmt, und der kleine Backenbart erhöhten den altmodischen Eindruck.

Er grüßte mit einer leichten Verneigung und begab sich an seinen Platz und begann zunächst sein Besteck mit einem seidenen Tuche sorgfältig zu reinigen. Dann aß er, fast ohne sich umzusehen, und ging wieder fort.

Da hörte ich seinen Namen, denn meine Tischgenossen, Ingenieure der Bahn, wie ich, und einige Herren aus der Stadt, wunderten sich darüber, daß der Rat Dorenius im Gasthaus gespeist hatte.



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